Stimmen aus der Dunkelheit: Der Kampf afghanischer Frauen gegen die Unterdrückung durch die Taliban

Beitrag von Mitra Hashemi | baaham e.V.

Seit mehr als zwei Jahren sind diese Worte bittere Realität. Die Türen der Oberschulen und Universitäten für 3,7 Millionen afghanische Mädchen und Frauen sind geschlossen. Afghanistan ist damit das einzige Land der Welt, das den Zugang zu Bildung für Frauen systematisch verbietet.  

Hunderte Briefe aus verschiedenen Regionen und Provinzen Afghanistans erreichten mich in den vergangenen zwei Jahren. Sie zeichnen ein erschütterndes Bild vom Leben der Frauen in allen Altersklassen und Lebenslagen: von Hausfrauen bis zu ehemaligen Universitätsprofessorinnen, von Sechstklässlerinnen bis zu 80-jährigen Witwen. Das Leben all dieser Frauen ist geprägt von Angst, Verzweiflung und Aussichtslosigkeit.

Die Frauen schildern, wie sie Angst haben, ihr Zuhause zu verlassen. Die Taliban kontrollieren den öffentlichen Raum, schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen ein und verhängen drakonische Strafen für vermeintliche Verstöße gegen ihre Regeln. Mädchen dürfen nicht mehr zur Schule gehen, Frauen werden aus ihren Jobs vertrieben und ihnen wird die freie Meinungsäußerung und politische Teilhabe verwehrt. Sie berichten von häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen, ohne jegliche Unterstützung oder Schutz in der aktuellen Situation. Die Taliban haben Frauenhäuser geschlossen und NGOs, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen, behindern oder zerschlagen.

Die Briefe sind ein Zeugnis für die Notlage der afghanischen Frauen, die in einem unerbittlichen Kreislauf aus Unterdrückung und Leid gefangen sind.

Afghanische Frauen fühlen sich, als wären sie erneut von der Weltgemeinschaft im Stich gelassen und verraten. Die internationale Gemeinschaft hat es versäumt, die Errungenschaften der letzten Jahre zu schützen und die Frauen vor der Tyrannei der Taliban zu bewahren. Aber auch die eigenen Landsleute haben sie im Stich gelassen: Männer, die mit den Taliban kollaborieren oder aus Angst schweigen, tragen zur Unterdrückung der Frauen bei.

Die Missachtung von Frauen und Weiblichkeit ist ein zentrales Merkmal des Lebens unter der Taliban-Herrschaft. Die Taliban verachten Frauen und alles, wofür sie stehen, und setzen ihre Ideologie der Unterdrückung und Diskriminierung konsequent um.

Wir stehen heute nicht nur vor einer Geschlechter-Apartheid, sondern vor der totalen sozialen Eliminierung von Frauen.  

Gewiss, die Situation der Frauen in Afghanistan ist düster. Aber es gibt Hoffnung. Inmitten der Unterdrückung und Verzweiflung erheben afghanische Frauen ihre Stimmen und fordern Veränderung. Ich habe dutzende von ihnen interviewt und ihre Vorschläge für eine bessere Zukunft gesammelt. Ihre Forderungen lassen sich in drei Kategorien einteilen:

1. Stärkung der kollektiven Stimme

Die afghanischen Frauen haben bereits bewiesen, dass sie zu kollektivem Handeln fähig sind. Der Eifer und die Hingabe der Demonstrantinnen nach der Machtübernahme der Taliban zeigten das Potenzial ihrer Initiativen, einen historischen Wandel auszulösen. Um ihre Widerstandskraft zu stärken, sollten sie sich auf den Aufbau einer starken, vereinten Bewegung mit gemeinsamen Zielen konzentrieren. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Aktivistinnen mit den bisherigen Mitteln nicht ausreichend gegen die Unterdrückungspolitik der Taliban gerüstet sind. Es bedarf einer strategischen Weiterentwicklung des Widerstands, um effektiver und nachhaltiger zu sein. Die afghanischen Frauen im Widerstand benötigen dringend materielle, intellektuelle und psychologische Unterstützung. Die internationale Gemeinschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen Ressourcen bereitstellen, um die Widerstandsfähigkeit der Aktivistinnen zu stärken, ihre Sicherheit zu gewährleisten und ihre Bemühungen zu professionalisieren.  

2. Die entscheidende Rolle afghanischer Männer

Die Unterstützung der afghanischen Männer ist für die Frauenbewegung von immenser Bedeutung. Männer genießen in der afghanischen Gesellschaft oft eine privilegierte Position und tragen somit die Verantwortung, aktiv für die Gleichstellung der Geschlechter einzutreten.

Männer spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und der Überwindung von patriarchalen Strukturen. Es ist wichtig, dass sie sich bewusst werden über Geschlechterrollen und -stereotypen und wie diese das Leben von Frauen beeinflussen können. Bildungsprogramme und gezielte Kampagnen können dazu beitragen, Männer für die negativen Auswirkungen patriarchaler Normen zu sensibilisieren und alternative Denkweisen zu fördern.

Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, dass Männer aktiv daran teilnehmen, Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Dies kann durch die Teilnahme an Protesten, Kampagnen und durch das Eingreifen gegen frauenfeindliche Äußerungen und Handlungen im eigenen Umfeld geschehen.

Des Weiteren können Männer eine bedeutende Rolle dabei spielen, kulturelle Barrieren zu überwinden, die Frauen den Zugang zu Bildung, Beruf und politischer Teilhabe erschweren. Indem sie als Vorbilder agieren und andere Männer dazu ermutigen, die Fähigkeiten und Talente von Frauen anzuerkennen und zu unterstützen, können sie dazu beitragen, eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft zu schaffen.

Nachhaltige Veränderung kann nur durch die Zusammenarbeit von Männern und Frauen erreicht werden. Die Bildung von gemischten Bündnissen und die Förderung von Dialog und gegenseitigem Verständnis sind unerlässlich.

3. Internationale Solidarität als Schlüssel zum Erfolg

Den afghanischen Frauen kann nur geholfen werden, wenn die internationale Gemeinschaft ihre Unterstützung und Solidarität zu einem gemeinsamen Kampf für Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit mobilisiert und koordiniert.

Die Krise der Frauenrechte in Afghanistan ist ein Testfall für die internationale Solidarität. Die Weltgemeinschaft muss sich geschlossen hinter die afghanischen Frauen stellen und ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind. Der Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen und gesellschaftlichen Leben in Afghanistan darf kein Modell für andere Gesellschaften werden. Wenn die Weltgemeinschaft tatenlos zusehen lässt, könnte dies zu einem Dominoeffekt führen und die Rechte von Frauen weltweit gefährden. Frauen auf der ganzen Welt haben die Verantwortung, sich mit den afghanischen Frauen zu solidarisieren.

Der Internationale Frauentag am 8. März rückt die Situation der Frauen in Afghanistan erneut ins Rampenlicht. Unsere Solidarität mit ihnen darf sich jedoch nicht auf diesen einen Tag beschränken. Wir müssen jeden Tag aktiv werden, um die afghanischen Frauen in ihrem Kampf zu unterstützen.

Wir können die Frauen unterstützen, indem wir verschiedene Maßnahmen ergreifen:

Zunächst ist es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten. Das bedeutet, dass wir uns über die aktuelle Situation der Frauen in Afghanistan informieren und unser Umfeld dafür sensibilisieren. Je mehr Menschen sich bewusst sind, desto größer ist die Chance, dass sich etwas ändert.

Des Weiteren können wir konkrete Unterstützung leisten, indem wir Organisationen unterstützen, die sich für die Rechte der Frauen in Afghanistan einsetzen. Das kann sowohl finanzielle Unterstützung als auch aktive Mitarbeit bedeuten. Indem wir uns aktiv engagieren, tragen wir dazu bei, dass diese Organisationen ihre Arbeit effektiv fortsetzen können.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist es, politischen Druck auszuüben. Wir sollten unsere politischen Vertreter*innen dazu auffordern, sich aktiv für die Verbesserung der Situation der Frauen in Afghanistan einzusetzen. Dies kann durch Petitionen, Briefe an politische Entscheidungsträger oder öffentliche Aktionen geschehen. Es ist entscheidend, dass unsere Stimmen gehört werden und dass sich die Regierungen weltweit für die Rechte und Sicherheit der afghanischen Frauen einsetzen.

Lasst uns gemeinsam zeigen, dass wir uns für die Frauen in Afghanistan einsetzen und uns nicht von den schrecklichen Zuständen dort abwenden. Lasst uns aufstehen und eine Stimme für diejenigen sein, die keine Stimme haben. Lasst uns die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Frauen in Afghanistan am Leben erhalten. Denn nur durch gemeinsames Engagement und kontinuierliches Handeln können wir einen Wandel bewirken.

Briefe aus der Realität:

„An die freie Welt,

Ich schreibe Ihnen diesen Brief aus Herat, Afghanistan, einem Land, das von Armut, Krieg und Unterdrückung geplagt ist. 

Ich war Lehrerin, bevor die Taliban die Macht übernahmen. Jetzt darf ich nicht mehr arbeiten. Mein Mann wurde getötet, und ich muss meine Kinder allein ernähren. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.

Frauen und Mädchen in Afghanistan leiden unter den Taliban. Sie haben keine Rechte mehr. Sie dürfen nicht zur Schule gehen, nicht arbeiten und nicht ohne Begleitung das Haus verlassen. Die Taliban kontrollieren jeden Aspekt unseres Lebens.

Wir bitten Sie um Hilfe. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um zu überleben und unsere Zukunft zu gestalten. Bitte helfen Sie uns, unsere Rechte zurückzuerlangen und ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Mit Hoffnung,

Mina“


„Hallo,

Ich schreibe diesen Brief in der Hoffnung, dass jemand meine Geschichte hört und mir hilft. Ich bin eine Frau in Panjsher, Afghanistan und mein Leben ist in Gefahr.

Seit die Taliban die Macht übernommen haben, hat sich die Situation für Frauen und Mädchen dramatisch verschlechtert. Ich selbst wurde bereits mehrmals von den Taliban geschlagen, weil ich nicht richtig gekleidet war. Ich habe Angst, auf die Straße zu gehen, und ich habe Angst um mein Leben.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe keine Familie, die mir helfen kann, und ich habe kein Geld, um aus Afghanistan zu fliehen.

Ich bitte Sie von ganzem Herzen um Hilfe. Bitte helfen Sie mir, aus diesem Albtraum zu entkommen.

Mit freundlichen Grüßen,  

Layla“


„Hallo,

Ich bin eine Frau in Mazar-E-Sharif Afghanistan und meine Situation ist sehr schwierig. Ich fühle mich ständig eingesperrt und bedroht.

Die Zukunft Afghanistans sieht düster aus. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen, die Menschen hungern und es gibt keine Hoffnung auf Frieden. Ich bin verzweifelt und weiß nicht, was ich tun soll.

Ich bitte Sie um Hilfe:

Bitte helfen Sie den Frauen und Mädchen in Afghanistan. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um unsere Rechte zu verteidigen und ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Bitte setzen Sie sich für Frieden und Gerechtigkeit in Afghanistan ein. Die Menschen hier haben genug von Krieg und Gewalt. Sie verdienen es, in Sicherheit und Würde zu leben.

Ich weiß, dass Sie weit weg sind, aber Sie können einen Unterschied machen. Bitte vergessen Sie uns nicht.  

Mit freundlichen Grüßen

Madina“


„Sehr geehrte Damen und Herren,

ich schreibe Ihnen diesen Brief aus Pakistan.

Meine Familie und ich haben alles verloren. Wir leben jetzt in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Islamabad, wo die Bedingungen katastrophal sind.

Wir brauchen dringend Hilfe! Wir brauchen Lebensmittel, Wasser, Kleidung und Medikamente. Wir brauchen auch eine sichere Unterkunft und die Möglichkeit, unsere Kinder zur Schule zu schicken.

Bitte helfen Sie uns!

Mit freundlichen Grüßen,

Homayra“

Vielen Dank an unser Mitglied baaham e.V.! Nicht nur für die Übersetzung der Briefe, sondern Ihren Einsatz für die Frauen vor Ort und hier in Deutschland!