Die aktuelle Jahresbilanz von CLAIM zeigt erschütternde Entwicklungen: Im Jahr 2024 wurden 3.080 antimuslimische Vorfälle dokumentiert – ein Anstieg um 60 % gegenüber dem Vorjahr. Damit ereigneten sich täglich über acht Vorfälle in Deutschland. Und dabei handelt es sich nur um gemeldete Fälle.
Als Verband afghanischer Organisationen in Deutschland (VAFO) sehen wir diese Entwicklungen mit größter Sorge. Viele unserer Mitglieder erleben diese Gewalt aus nächster Nähe – sei es durch persönliche Betroffenheit oder durch die Arbeit mit von Diskriminierung betroffenen Afghan:innen in Deutschland. Antimuslimischer Rassismus ist für uns keine abstrakte Zahl – er ist tägliche Realität.
Worte, die treffen – Taten, die töten
Die dokumentierten Vorfälle zeigen ein bedrohliches Ausmaß und eine wachsende Brutalität. Die Mehrzahl sind verbale Angriffe – Beleidigungen, Drohungen, abwertende Aussagen, oft mitten im Alltag, in der Bahn oder auf der Straße. Weitere Fälle betreffen gezielte Diskriminierungen, etwa bei der Arbeitssuche, auf dem Wohnungsmarkt oder im Schulalltag. Besonders alarmierend ist der Anstieg physischer Gewalt: Neben Sachbeschädigungen und Angriffen auf religiöse Einrichtungen – darunter 67 dokumentierte Attacken auf Moscheen – verzeichnet das Lagebild auch Fälle von Körperverletzungen, schwere Gewalttaten und sogar zwei Tötungsdelikte.
Diese Gewalt richtet sich gegen Menschen, die muslimisch gelesen werden – unabhängig von ihrer tatsächlichen Religionszugehörigkeit. Besonders betroffen sind Frauen (71 % der Fälle), Einzelpersonen (968 Fälle) und ganze Gruppen (261 Fälle). Der öffentliche Raum und Bildungseinrichtungen zählen zu den häufigsten Tatorten.
Wenn Hass konkret wird: Die Bedrohung der Afghanistan-Diaspora
VAFO selbst war in den letzten Monaten massiven Anfeindungen ausgesetzt. Uns erreichten hunderte Drohnachrichten, darunter Sätze wie: „Verpisst euch aus unserem Land“ und „48 Stunden – dann fordere ich Blutzoll. Jeder Afghane wird verstehen, was das bedeutet“. Unsere Community fühlt sich nicht mehr sicher.
Wir haben diese Bedrohungen zur Anzeige gebracht und erfuhren zugleich große Solidarität – aus der Zivilgesellschaft, von Partnerorganisationen und Einzelpersonen, die unsere Arbeit unterstützen. Das war ein wichtiges Zeichen in einer Zeit, in der viele sich ohnmächtig fühlten.
Wir sagen klar: Wir verurteilen jede Form von Gewalt und Extremismus. Und wir wehren uns entschieden gegen kollektive Zuschreibungen. Die Afghanistan-Diaspora ist Teil dieser Gesellschaft – nicht ihr Problem.
Politisches Versagen und Vertrauensverlust
Die Studienlage ist eindeutig: Laut DeZIM vertrauen zwei Drittel der Muslim*innen in Deutschland der Politik nicht mehr. Dieses Misstrauen ist Ausdruck eines strukturellen Versagens, rassistische Gewalt ernst zu nehmen, zu dokumentieren und zu verfolgen. Es ist ein Alarmzeichen für die Demokratie.
Mediale Narrative, die Islam und Gefahr gleichsetzen, befeuern diesen Rassismus weiter. Statt differenzierter Berichterstattung über Herkunft, Religion und politische Motivlagen, erleben wir die ständige Reproduktion von Vorurteilen. Genau dieses Klima führt dazu, dass Muslim*innen – darunter viele Afghan:innen – öffentlich als Bedrohung markiert und häufiger Opfer von Gewalt werden.
Was es jetzt braucht
Antimuslimischer Rassismus ist kein Randthema! Er betrifft unsere Mitglieder, unsere Familien, unsere Kinder und unsere Gesellschaft jeden Tag.
VAFO steht für Teilhabe, Gleichberechtigung und eine offene Gesellschaft. Deshalb setzen wir uns – gemeinsam mit anderen – für gezielte Maßnahmen ein: Wir brauchen mehr Schutz für Betroffene, sichtbare Konsequenzen für Täter:innen, eine klare politische Sprache gegen antimuslimischen Rassismus und endlich ein ernsthaftes Monitoring auf allen Ebenen.