Bericht über das Volksgericht für Frauen Afghanistans in Madrid

©Zakir Mandegar

Hintergrund und Ziel des Volksgerichts

Vom 8. bis 10. Oktober 2025 fand in Madrid, Spanien, ein historisches Volksgericht statt, das von afghanischen Frauenrechtsorganisationen organisiert wurde.
Das Ziel dieses Gerichts war es, die systematischen Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen unter der Herrschaft der Taliban zu dokumentieren und der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen.
Obwohl das Gericht keine rechtlich bindende Macht hatte, diente es als moralische Instanz, um die Stimmen der betroffenen Frauen zu Gehör zu bringen.

Organisationen, die das Volksgericht (Peoples Tribunal for Women of Afghanistan) unterstützt haben:

  • Rawadari
  • Afghan Human Rights and Democracy Organization (AHRDO)
  • DROPS
  • Human Rights Defenders Plus (HRD+)

Richter und Staatsanwälte

Das Gericht wurde von einer internationalen Richterkommission geleitet, darunter:

  • Rashida Manjoo
  • Elisenda Calvet Martínez
  • Ghazal Haris
  • Dr. Noor Rafi’ah
  • Emilio Ramírez Matos
  • Kalpana Sharma
  • Marina Forti
  • Araceli García del Soto

Die Staatsanwälte waren:

  • Azadeh Raz Mohammad
  • Mohib Madad
  • Orzala Nemat
  • Banafsha Yaqubi

Zeugenaussagen beim Peoples Tribunal for Women of Afghanistan

Während des Gerichtsverfahrens legten mehrere afghanische Frauen Zeugenaussagen ab, in denen sie die Gräueltaten der Taliban schilderten. Es sprachen:

  • Zarmina Pariani: Sie berichtete, dass sie nach ihrer Teilnahme an einer Protestdemonstration von den Taliban verhaftet und im Gefängnis gefoltert wurde. Während der Vernehmung wurde sie entkleidet, und Fotos von ihrem nackten Körper wurden gemacht.
  • Huda Khamosh: Sie berichtete, dass die Taliban sie bedrohten und auf sie schossen.
  • Mariam: Eine 18-jährige afghanische Frau, die von den Taliban unterdrückt wurde. Sie schilderte, wie sie in der düsteren Welt unter der Herrschaft der Taliban lebte, in der niemand ihre Stimme hörte.
  • Eine behinderte Frau: Sie berichtete, dass die Taliban zu ihr sagten: „Gott hat dich gesehen und dich behindert.”

Abschluss des Peoples Tribunal for Women of Afghanistans und erste Entscheidungen

Am Ende des dritten Tages des Volksgerichts für afghanische Frauen in Madrid, am 10. Oktober 2025, prüften die Richter und Staatsanwälte alle vorgelegten Zeugenaussagen und Beweise.
Die Staatsanwälte betonten die Notwendigkeit der Rechenschaftspflicht der Taliban für die vorgebrachten Anschuldigungen und forderten Maßnahmen zur Wiedergutmachung der Opfer und zum Schutz der Menschenrechte in Afghanistan.
Sie warnten, dass die Fortsetzung solcher Handlungen schwerwiegende Folgen für das Land haben könnte.

Die Richter des Gerichts erklärten, dass die Beweise und Zeugenaussagen auf eine koordinierte Kampagne zur geschlechtsspezifischen Belästigung hinweisen, die darauf abzielt, Frauen aus dem öffentlichen Leben zu entfernen.
Sie versprachen, das endgültige Urteil innerhalb von zwei Monaten zu verkünden.

Dieses Gericht, das symbolisch und mit dem Ziel der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen in Afghanistan abgehalten wurde, betonte die Notwendigkeit internationaler Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung für die Opfer.
Die Richter hoben hervor, dass die Anerkennung der geschlechtsspezifischen Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie die Reduzierung von Straflosigkeit und Mangel an Verantwortlichkeit unerlässlich seien.

Abschließend kündigte das Gericht an, dass das endgültige Urteil innerhalb von zwei Monaten verkündet wird, und dass dieses Urteil als Instrument für internationalen Druck und zur Wahrung der Rechte afghanischer Frauen dienen kann.

Urteil des Gerichts

Das endgültige Urteil des Gerichts wird im Dezember 2025 erwartet.
Obwohl das Gericht keine rechtlich bindende Macht hat, wird es als moralische Instanz angesehen, die die Gräueltaten der Taliban dokumentiert und die internationale Gemeinschaft auf die Notlage der afghanischen Frauen aufmerksam macht.

Dieses Volksgericht war ein symbolischer Akt des Widerstands und ein Aufruf an die Weltgemeinschaft, die Stimmen der Frauen in Afghanistan zu hören und Maßnahmen zum Schutz ihrer Rechte zu ergreifen, weil seit der zweiten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan  Frauen ihrer grundlegenden Rechte beraubt worden. Das Frauenministerium wurde abgeschafft und durch das „Ministerium für Tugend und Laster“ ersetzt, Bildung, Arbeit und Bewegungsfreiheit wurden verboten. Auch willkürliche Verhaftungen von protestierenden Frauen zeigen derzeit die schwere Verletzung derMenschenrechtlage der Frauen unter den Taliban im Land.

Einschätzung des Ergebnisses und Mehrwert für Frauen in Afghanistan

Meiner Ansicht nach war dieses internationale Tribunal für die Frauen Afghanistans ein sehr nützlicher und wirkungsvoller Schritt. Trotz aller Einschränkungen und der Tatsache, dass viele Zeuginnen im Verborgenen bleiben mussten, wurden die Stimmen der Frauen gehört und ihre Wahrheit anerkannt. Dieses Tribunal hat außerdem dazu beigetragen, die Verbrechen, die derzeit in Afghanistan von den Taliban gegen Frauen begangen werden, zu dokumentieren und offiziell anzuklagen. Es zeigt deutlich, dass die Welt über die Situation der afghanischen Frauen informiert ist und dass wir sie nicht allein gelassen haben – und auch in Zukunft nicht allein lassen werden. Obwohl dieses Tribunal vor allem symbolischen Charakter hatte und keine rechtliche Durchsetzungskraft besaß, trug es doch wesentlich zur weltweiten Sensibilisierung bei und könnte kurz- oder langfristig die internationale Gemeinschaft dazu bewegen, den Rechten der Frauen in Afghanistan mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Unsere Autorin Sadaf Sarwary

Nach ihrem Abschluss an der Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften in Kabul im Jahr 2012 arbeitete Sadaf Sarwary als Rechtsassistentin für Global Rights und später als Rechtsberaterin bei der NGO Paywand-e Afghanan Association. Dort engagierte sie sich für die Rechte von Frauen und weiblichen Gefangenen in Afghanistan und war an der Entwicklung einer nationalen Politik zur Verbesserung ihres Zugangs zur Justiz beteiligt. Später leitete sie im Büro des Generalinspekteurs des Präsidenten Untersuchungen zu Korruption in Regierungsbehörden. Nach der Machtübernahme der Taliban musste sie das Land verlassen. Heute lebt sie in Deutschland, wo sie sich weiterhin für Menschenrechte, insbesondere für Frauen und gefährdete Personen, einsetzt. Ihre persönliche Biografie

Hintergrund

Gemeinsame Merkmale von Volksgerichten:

  1. Keine rechtliche Durchsetzungskraft: sie können keine gesetzlich bindenden Urteile fällen.
  2. Dokumentation und Aufdeckung: Sammeln von Beweisen und Zeugenaussagen von Opfern und Zeugen.
  3. Ethischer und politischer Druck: Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft und Organisationen.
  4. Historisches Gedächtnis: Aufbewahrung von Dokumenten über Menschenrechtsverletzungen für zukünftige Generationen.
  5. Bewusstsein und Bildung: Erhöhung des öffentlichen Bewusstseins und Förderung des internationalen Dialogs über Gerechtigkeit und Menschenrechte.

Historische Beispiele von Volksgerichten weltweit

Es gibt historische Beispiele für Volksgerichte weltweit. Diese Gerichte hatten in der Regel keine gesetzliche Durchsetzungskraft, dienten jedoch als Mittel zur Aufdeckung, Dokumentation von Verbrechen und zur globalen Aufmerksamkeit. Hier sind einige bedeutende Beispiele:

1. Volksgericht gegen die Apartheid in Südafrika (1985-1986)

  • Grund: Verurteilung des Apartheid-Systems und weit verbreiteter Menschenrechtsverletzungen gegen Schwarze.
  • Ort: London und andere internationale Städte.
  • Ziel: Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Ungerechtigkeiten lenken und Druck auf die südafrikanische Regierung ausüben.
  • Einfluss: Verstärkte internationale mediale und politische Aufmerksamkeit und wirtschaftlicher Druck führten zu Veränderungen.

2. People’s Tribunal on War Crimes (1980er)

  1. Grund: Untersuchung von Kriegsverbrechen und Völkermord, insbesondere in Südostasien.
  2. Ort: Europa (Paris und London) und manchmal USA.
  3. Ziel: Dokumentation von Kriegsverbrechen und moralische Gerechtigkeit, wenn offizielle Gerichte versagen.
  4. Einfluss: Veröffentlichung der Zeugenaussagen durch internationale Organisationen und Medien unterstützte den globalen Diskurs über Menschenrechte.

3. Aban Tribunal für afghanische Frauen (2020)

  • Grund: Untersuchung von Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen gegen afghanische Frauen unter der Herrschaft der Taliban.
  • Ort: London und online für ein internationales Publikum.
  • Ziel: Aufmerksamkeit auf Geschlechterungerechtigkeit lenken und Dokumentation für internationalen Druck.
  • Einfluss: Medien und Menschenrechtsorganisationen nahmen vermehrt die Situation afghanischer Frauen auf, Kampagnen zur Unterstützung entstanden.

*Positionen und Meinungen, die von den Organisationen oder Autor:innen geteilt werden spiegeln nicht automatisch die Meinung des Verbands wider. 

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