Afghanistan und wir: Perspektivlosigkeit, Schutz und politische Verantwortung

Positionspapier zur Afghanistan-Konferenz am 19. Mai 2025 in Berlin

Durch die Machtübernahme der Taliban 2021 hat sich die humanitäre und menschenrechtliche Lage in Afghanistan drastisch verschlechtert. Besonders Frauen* und Minderheiten leiden unter der brutalen Herrschaft, die sie weitgehend ihrer Rechte beraubt. Mangelhafte Lebensmittelversorgung, fehlender Bildungszugang – vor allem für Mädchen* –sowie unzureichende Gesundheitsversorgung prägen die Situation in dem Land.

Die Zahl afghanischer Schutzsuchender in Deutschland ist seit 2021 deutlich gestiegen. 2024 lebten mehr als 420.000 Afghan*innen hier. Die afghanische Diaspora ist zum Teil seit Jahrzehnten in Deutschland angekommen und ist aus Nachbarschaften, Schulen, Universitäten, Vereinen und Berufsalltag nicht mehr wegzudenken. Die afghanische Community ist ein Teil Deutschlands.

Gerade die Aufnahme afghanischer Geflüchteter wird politisch und medial oft undifferenziert diskutiert. Die Bundesregierung plant nun, humanitäre Aufnahmeprogramme wie das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan einzustellen und Abschiebungen in das Land zu forcieren. Dabei bleibt die Aufnahme dringend notwendig.

Daher fordern wir:

1. Sichere Aufnahme ermöglichen

Die katastrophale Lage in Afghanistan erfordert gezielte Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Personen. Deutschland muss hier eine Vorreiterrolle einnehmen, zumal viele deutsche Institutionen über Jahre in Afghanistan aktiv waren.

    • Aufnahmeprogramme weiterführen:
      Menschen, die sich unter deutscher Mitwirkung für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, sind nun bedroht. Für sie kann ein rechtlicher Anspruch auf Rettung bestehen. Das Bundesaufnahmeprogramm und weitere Aufnahmewege müssen erhalten bleiben – hierbei müssen alle gefährdeten Familienangehörigen berücksichtigt werden. Die Zivilgesellschaft sollte stärker in Planung und Umsetzung
      einbezogen werden und eine langfristige Finanzierung sollte sichergestellt werden.
    • Resettlement aus Nachbarländern ermöglichen:
      Afghan*innen stellen weltweit die zweitgrößte Gruppe mit Resettlement-Bedarf. Resettlement bietet ein auf EU-Ebene vereinheitlichtes Aufnahmeverfahren, das gezielt besonders schutzbedürftigen Menschen Schutz bietet und zugleich zu einer ausgeglicheneren Verantwortungsteilung im globalen Flüchtlingsschutz beiträgt, in dem es Erstaufnahmeländer unterstützt. Zudem wird Resettlement durch Gelder aus dem europäischen Asyl-, Migrations-, und Integrationsfonds (AMIF) unterstützt.
    • Familienzusammenführung stärken:
      Die Schließung der deutschen Botschaft in Kabul hat den Familiennachzug massiv erschwert. Die Wartezeiten an der deutschen Botschaft in Iran liegen bei über zwei Jahren, in Pakistan bei circa einem Jahr. Es braucht dringend mehr Bearbeitungskapazitäten in diesen Botschaften, aber auch die Bearbeitung der
      Anträge auf Familiennachzug in Deutschland muss verstärkt werden. Afghanischen Frauen, die in Afghanistan keinen Bildungszugang haben, sollte die Voraussetzung zum deutschen Spracherwerb erlassen werden. Landesaufnahmeprogramme können in Deutschland lebenden Afghan*innen eine zielgerichtete Aufnahme ihrer Angehörigen ermöglichen.

    2. Tatsächlichen Schutz in Deutschland bieten

    Trotz der dramatischen Lage in Afghanistan steigt die Zahl abgelehnter Asylanträge in
    Deutschland. Dabei verschlechtert sich die humanitäre Situation in Afghanistan aktuell
    weiter, unter anderem durch Kürzungen internationaler Hilfsgelder und Abschiebungen in
    das Land aus seinen Nachbarstaaten.

      • Schutz im Asylverfahren:
        Afghan*innen haben ein Recht auf Schutz in Deutschland. Die Lage in ihrem Heimatland ist so prekär, dass ihnen bei Rückkehr Folter, unmenschliche Behandlung oder Verelendung droht. Entsprechend ist stets der subsidiäre Schutz oder ein Abschiebungsverbot zu gewähren und bei individueller Verfolgung durch die Taliban die Flüchtlingseigenschaft. Frauen werden – wie auch der Gerichtshof der Europäischen Union feststellte – als soziale Gruppe in Afghanistan gezielt verfolgt.
      • Keine Abschiebungen nach Afghanistan:
        Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbietet Abschiebungen, wenn Folter und unmenschliche Behandlung drohen. Diese Gefahr besteht in Afghanistan. Entsprechend verstoßen Abschiebungen nach Afghanistan gegen das völkerrechtliche Abschiebungsverbot. Zudem würde die regelmäßige Durchführung von Abschiebungen absehbar die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Taliban erfordern.
      • Echte Bleiberechtschancen:
        Rund 10.000 Afghan*innen leben nur mit einer Duldung in Deutschland. Sie brauchen verlässliche Bleiberechtsoptionen und bessere Integrationschancen, statt jahrelanger Unsicherheit.

      3. Ankommen und Teilhabe erleichtern

      Deutschland muss menschenwürdige Aufnahmebedingungen schaffen und Integrationsmaßnahmen stärken. Die deutsche Politik und die Zivilgesellschaft haben bereits wichtige Erfahrungen in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarktintegration gesammelt und Erfolge erzielt. Dies bietet die Chance, afghanische Zugewanderte beim Ankommen und der Teilhabe zu unterstützen und durch Integrationsmaßnahmen die soziale und
      zivilgesellschaftliche Einbindung zu fördern.

        • Afghanische Diaspora-Organisationen unterstützen:
          Sie sind wichtige Ansprechpartner für Neuzugewanderte und können ein Bindeglied zwischen der afghanischen Community, anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Politik sein. Dafür müssen sie dringend unterstützt und stärker beteiligt werden.
        • Arbeitsmarktintegration erleichtern:
          Viele Afghan*innen verfügen über akademische und berufliche Qualifikationen und viele haben ein Interesse, sich in Deutschland weiter auszubilden. Durch Zugang zu Arbeit, Ausbildung und Lehre können sie leichter gesellschaftlich ankommen und zugleich zur deutschen Wirtschaft beitragen. Hierfür muss den Menschen der Aufenthalt gesichert und die Arbeitsaufnahme erlaubt werden.
        • Zugang zu diskriminierungsfreier Bildung sicherstellen:
          Kinder brauchen frühzeitigen Zugang zu Kitas und Schulen. Dafür müssen Barrieren abgebaut und pädagogische Fachkräfte für Diversität sensibilisiert werden, um den Kindern faire Chancen auf eine gleichberechtigte Zukunft zu eröffnen.

        UNTERZEICHNENDE ORGANISATIONEN (alphabetisch, 15. Mai 2025)

        Afghanischer Stammtisch Schleswig-Holstein
        AWO Bundesverband e.V.
        Flüchtlingsrat Berlin e.V.
        Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
        Kabul Luftbrücke
        Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte e.V.
        PRO ASYL Bundesarbeitsgemeinschaft
        Verband afghanischer Organisationen in Deutschland e.V. (VAFO

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